Kunstquartier Bethanien
Silvia Beck · Laurence Egloff · Marco Goldenstein · Elke Graalfs · Anett Lau · Peter Nansen Scherfig · Veronika Schumacher · Wolf von Waldow · Dana Widawski
Das Spektrum reicht von der Erforschung und Verarbeitung historischer Vorlagen bis hin zu digitalen Codes. Die Medien der großformatigen, teilweise installativen, wandfüllenden Werke sind Malerei, Glasurmalerei, verschiedene Drucktechniken, Cut-out, Video und Zeichnung.
The exhibition showcases a selection of 9 contemporary positions, that in different ways refer to the almost endless stock of ornamental creation.
The range includes the exploration and processing of historical formats as well as digital codes. Media of the large-format, in some cases installative, wall-filling works are painting, tile-painting, various printing techniques, cut-out, video and drawing.
»Eine sehr schöne, süffige Ausstellung! Sehr gut auch, dass die beteiligten Künstler keine Selbstgesprächskojen hatten, sondern immer wieder zur räumlichen Korrespondenz mit anderen eingeladen wurden. Es freut den protestantischen Kunstbeargwöhner und obendrein Spät-Adorniten besonders, wenn Kunst sich auf ihren eigenen Referenzrahmen besinnt und gerade dadurch viel eher, weil unberechenbarer, in die Gesellschaft hineinwirkt, als wenn sie sich als bildhafte Diskursverstärkerin derselben versteht. Und wenn das dann ausgerechnet auf dem Feld des Ornaments geschieht, ihrem Ursprung zwar doch einem fluchbeladenen, ist es mutig und imposant.«
Eröffnung der Ausstellung am 29. Juli im Kunstquartier Bethanien, Berlin-Kreuzberg.
Kamera & Schnitt: Ronit Tayar
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Wolfgang Siano, Kunsthistoriker
Da die hier versammelten Arbeiten ja aus sich selbst sprechen, hat Jörg Hasheider mich darum gebeten, ein paar allgemeine Überlegungen zu seiner wirklich eindrucksvollen Ausstellung beizutragen.
Mir fiel dabei auf, daß er auf seiner Einladungskarte selbst schon einen konzisen Beitrag zur Frage nach dem Ornament geleistet hat. Der Aspekt der gleichförmigen Reihung von Bildausschnitten der beteiligten Künstler springt natürlich sofort ins Auge, ebenso die zweite Ebene ihrer zwar unterschiedlich langen, dafür in gleicher Farbe und Typographie gehaltenen Namen, so daß insgesamt, unter Einbeziehung der weißen Umrahmung und Zwischenabstände, ein Ordnungsraster von ornamentaler Wirkung entsteht, eine Interferenz, deren Sinnzusammenhang mit einem Blick zu erfassen ist.
Schwieriger ist es schon das Ornamentale im Titel zu erkennen. Er thematisiert nämlich Sinnschichten, die zu erkennen voraussetzungsvoller ist oder auch nur für einen Akt der Überinterpretation gehalten werden kann. Was ich meine ist die Verbindung des Eigenschaftsworts »ornamental« mit einem Punkt, der für gewöhnlich ein Satzende anzeigt. So entsteht ein Verweisungszusammenhang zwischen einem für sich stehenden Wort, des vorlaufender Satz, zu dem es gehören könnte, aus einem imaginären Schriftband, mithin einer unbestimmten Zweidimensionalität besteht, sowie dem in sich definierten Punkt. Definiert sowohl als Satzzeichen wie als graphisches kreisrundes Farbereignis, das in seiner flächigen Endlichkeit den Blick in eine projektive, die sichtbare Wirklichkeit schließlich transzendierende Tiefe lenken kann.
Denken wir uns diese Tiefenstruktur als konzentrisch sich verkleinernde oder vergrößernde Ringe, so werden wir vielleicht an zeichenartige Sprechblasen in Comics dort erinnert, wo jemand einen Schlag auf den Kopf erhalten hat und im Zustand eines bewußten Daseins momentweise unterbrochen ist. Der Punkt als Punkt wäre, so gesehen, die kleinste Einheit des Ornamentalen, ohne das wir wüßten, was ein Ornament eigentlich sei. Wir sind erst einmal auf den Aspekt des Zeichens als Element von Schrift als Form verwiesen und ansonsten auf die Unbestimmtheit des Adjektivs ohne Objekt. Was bleibt ist einerseits die Idee vom Ornament als Konstruktion von Sinn und Bedeutung, die als Bedürfnis des erscheinenden Daseins Zusammenhänge herstellt und dadurch selbst in Zusammenhänge gestellt ist. Etwas, das uns heute als Vernetzung geläufig ist.
Andererseits ist es aber auch in der Bedeutungsfreiheit von Schmuck - und Zierformen eine paradoxe Ausprägung von eben derjenigen Freiheit, die auf einer Vergleichgültigung beruht, die Beides beinhaltet, das gleich Gültige wie das Gleichgültige.
Dieser Doppelcharakter des Ornamentalen erschließt sich weitergehend, wenn wir einen Blick auf die Anfänge der Konstruktionen von Sinn und Bedeutung werfen, sie als kulturelles Phänomen verstehen. Dann müssen wir zunächst alle Kultur als Einspruch gegen Vergänglichkeit und Chaos sehen. Besonders frühe Zeugnisse dieses Einspruchs finden sich schon als ornamentale Ritzungen in Steinen und Knochen vor annähernd 100.000 Jahren. Das Ornament wäre demnach eine elementare Anschauungsform der Menschen von sich selbst in Bezug auf das bzw. von dem her, was sie bedroht. Es ist ein ursprüngliches Medium der Reflexion. Es bannt die Zeit und gibt sich in diesem Raum eine Form, die als Handlung zum Ritual wird. Darin markiert du verortet sie die Differenz von Endlichkeit und Unendlichkeit – zugespitzt ausgedrückt wird der Körper zur Schnittstelle zwischen Herzschlag und Sonnenwende.
Im Ornament finden wir also die Anfangsformen des Denkens und der Schrift, sowie der geometrischen Orientierung und Planung und am Ende ist es Schmuck und Verzierung, Ausdruck von sozialer Zugehörigkeit und Unterscheidung, hierarchisches Zeichen und Gegenstand interesselosen Wohlgefallens. In jedem Fall aber Anschauungsform von Abstraktionen, deren Bedeutungen fortlaufenden kulturellen Veränderungen unterliegen.
»Ornament wären so gesehen anschaulich gewordene Abstraktionen – oder Abstraktionen im Anschaulichen, durch die die inneren Gesetzmäßigkeiten der organischen ebenso wie der anorganischen Natur als Motive in Erscheinung treten.«
In Ihnen hat die uns heute selbstverständlich erscheinende Idee der Zweckfreiheit den tiefgreifendsten Wandel im Umgang mit dem Ornament nach sich gezogen.
Selbst da, wo in der ornamentalen Anordnung eines Chips oder Moduls die Funktion dieses »Ornaments« genau bestimmbar ist, ist es doch im allgemeinen – sofern wir keine Fachleute sind – der ästhetische Wert dieser Anordnung, der uns erreicht. Wir leben im Zustand permanenter doppelter Fokussierung: zum einen auf die funktionalen Abläufe hin, von denen wir wissen und deren Regeln wir womöglich kennen und zum anderen im ästhetischen Verhältnis zum größeren, für uns nicht durchschaubaren Teil der Welt. Die Kunst nimmt sich dieser Undurchschaubarkeit an. Sie versucht darzustellen, wie Beides miteinander verschränkt ist und ineinander spielt.
Es ist der Spielraum, der ihr schon von Adolf Loos, der ja davon sprach, dass das Ornament ein Verbrechen sei, zugewiesen worden ist. Er hat die Architektur davon befreien wollen, einer stilistischen Einheit nachzujagen, die nur um der Preis der Applikation von Ornamenten in historischer Beliebigkeit oder um den ihrer Verselbständigung und Totalisierung im Jugendstil erreichbar gewesen war. Für ihn war der Sinn des Ornaments zwischen konstruktiver Sachlichkeit und handwerklicher bzw. materialer Organizität neu zu bestimmen. Das sollte ihm gleichermaßen den Anschluß an die Tradition sichern wie die Offenheit für eine radikalisierte Individualität. Radikaler jedoch war der Anschluß der Kunst an ihre utopische Tradition, an ihr christliches und antikes Erbe in selbstbezüglicher Abstraktion. Philipp Otto Runge hatte christliches und antikes Erbe an der Schwelle zum 19. Jahrhundert abbildlich-konstruktiv zusammengespannt. In zwei ornamentierten rahmen schloß er sein ästhetisches, naturphilosophisches Programm der Geburt eines neuen Menschen sowohl an die Geburt Jesu wie an die griechische Nike an.
Die weitergehende Autonomisierung der Kunst im 19. Jhd. Unterlief jedoch diese allegorische Ganzheitlichkeit, bis sie als ganzheitliche Abstraktion 100 Jahre später sich im Konstruktivismus wieder geltend machte. Die nur auf die Grundformen bildnerischen Gestaltung zurückgenommenen Elemente einer neuen Weltordnung, wie sie Malewitsch konzipiert hat, standen am beginn eines konstruktivistischen Gestaltungsethos, in dem die Formgesetzlichkeit zugleich einen ornamentalen Ausdruck annehmen konnte. Dieser Eindruck war um so stärker, je mehr sich die Künstler um den Anschluß an geometrisch-mathematisches Denken bemühten – bis hinzu den kinetischen Konstruktionen der Op-Art.
Anderseits bot diese Denken auch die Mittel, den Betrachter aus der »fetischistischen« Innerlichkeit seines Verhältnisses zur Kunst und zum Bild zu lösen. Es war Marcel Duchamp, der mit den ornamentalen Spiralen seiner »Rotorreliefs« das Gefangensein im perspektivischen Illusionsraum aufzubrechen suchte und darüber hinaus die Wirklichkeit der Sprache von der Erwartung auf ihre Übereinstimmung mit der visuellen und gegenständlichen Erfahrung der Alltagswelt trennte. Damit lenkte er die Aufmerksamkeit auf den ornamentalen Charakter, d.h. die Zweidimensionalität der perspektivischen Konstruktion selbst, die erst im Vorstellungsraum des Betrachters ihre Mehrdimensionalität entfaltet.
Das Gleiche gilt für Andy Warhols «Thirty are better than one!».
Seit dem Ende der Moderne haben wir uns daran gewöhnt, daß die Wissenschaft die Unmittelbarkeit sinnlicher Erfahrung aus der Welt herausrechnet und sie als verrechnete systemisch verfügbar macht. Magische Erfahrung und Praxis eröffneten demgegenüber einen unmittelbaren sinnlichen Zugang zum Numinosen, Ungreifbaren und Abstrakten. Heute ist dieses Ineinander privatisiert. Die mit ihr einhergehende Entlastung durch technologische Entwicklungen setzt zugleich archaische Impulse frei – eine oft verborgene Spontaneität, deren Befremdlichkeiten sich in der Kunst spiegeln und die allgemeinen Kommunikationsformen tiefgreifend verändern können und müssen.
Der Weg dorthin führt durch den Grundwiderspruch des Ornaments gleich – Gültig und Gleich – gültig zu sein hindurch. Wir müssen seine Konstruktion als Prozessualität im Stillstand, als Flächenreflexion ohne Zentrum aber mit vielen transformierenden Zentren sehen, strukturell so, wie die technische Vernetzung eine Art Gleichschaltung aller Teilnehmer bewirkt. Der Grundwiderspruch des Ornaments ist auf die Ebene einer halbwegs etablierten, jedoch nicht wirklich bewältigten Vernetzung verschoben, so wie zu einem früheren Zeitpunkt dieser Entwicklung Brecht einmal davon gesprochen hat, daß das Wesen in die Funktionale gerutscht sei. Darüber sich zu verständigen ist ein Grundzug der gegenwärtigen Kunstpraxis geworden und genau dafür steht für mich diese Ausstellung. Diesen Abstraktionszusammenhang anzunehmen heißt nicht, die individuelle Wahrnehmung durchzustreichen. In jedem bildet sich das Verhältnis von strukturellen und existentiellen Dimensionen verschieden ab, ohne das es damit exklusiv wäre. Es ist vielmehr auf eine Weise inklusiv, die den Aspekt der Gleichgültigkeit in ihrem Doppelsinn neu gewichtet. Auch hier, im Horizont endlicher Erfahrung, ist ein Ende nicht abzusehen.