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Wolfgang Siano 2008 in der Kunstfaktor Produzentengalerie Berlin

Wolfgang Siano 2008 in der Kunstfaktor Produzentengalerie Berlin

KUNST & KLANG

von Wolfgang Siano

Der Grundzug der Kunsterfahrung ist ein Innehalten, ein Einbruch reflektierender Spannung in den Ablauf unseres Daseins. In ihm erneuert sich unser Leben als geistiges und körperliches Bewusstsein von sich selbst.

Die Kunst ist immer schon Teil dieses Daseins, auch wenn dies »immer schon« keinen Durchblick auf eine ehemals mit ihr verbundene Idee von Ewigkeit mehr eröffnet. Die Begriffe wie ihre Sachverhalte sind in einen Prozess unterschiedlicher Zeitformationen eingebunden, den sie sowohl hervorbringen als auch in ihm sich verändern.

Daran haben wir Anteil, wann und wo immer sich unser Leben im Leben der Kunst reflektiert. Was wir als Leben der Kunst erfahren, ist eine immaterielle Schicht oder Dimension, in der sich ihre Ereignishaftigkeit kondensiert-verdichtet zu einem Substrat, das wir als Echo des Anteils unserer Sinnlichkeit an diesem Ereignis empfinden und verstehen können.

Dieses Substrat bildet sich aus der jeweiligen Gerichtetheit der verschiedenen Kräfte dieses Ereignisses; man kann es auch den Modus der Konzentration nennen, die Art und Weise, in der diese vielfältige Gerichtetheit im Innehalten der Wahrnehmung erkannt und unterschieden werden kann.

Das Zusammenwirken dieser Kräfte in der Immaterialität der Kunst war einmal als eine Idee von Poesie gedacht worden, durch die alle Künste wie durch ein geheimes Band miteinander verbunden zu sein schienen. Diese Idee, jede Kunstäußerung auf die ihr eigene poetische Immaterialität reflektieren zu können, begründete zwar einen »Hang zum Gesamtkunstwerk«, doch stießen die daraus hervorgegangenen Unternehmungen immer wieder an Grenzen, die auf der Verschiedenheit der in den einzelnen Künsten überlieferten Zeitordnungen beruhten.

Die Zeit des Kosmos, die Weltzeit und die Zeit des individuellen Daseins lassen sich nicht durch die Künste zu einem sinnlichen Kontinuum ganzheitlich und in medialer Gleichförmigkeit zusammenschließen. Auch die Mechanik ihrer technischen Reproduktion sowie die Digitalisierbarkeit aller sinnlichen Informationen sind nicht per se schon Garanten der Erfüllung dieses Hangs. Sie können jedoch die Vielfalt der in den Künsten überlieferten Zeitordnungen aufeinander hin durchsichtig machen und der Erfahrung als gegeneinander verspringende Resonanzen zu denken geben.

Auf diese Weise entsteht eine Form von Progression, die einen offenen Prozess von Grenzziehung und Grenzüberschreitung eröffnet. Das romantische Programm einer in sich fortschreitenden Universalpoesie, deren materielles Substrat die Musik, das Reich der Töne war, ist so, durch die Entwicklung der Technik, zu einem sozialen Prozess geworden. Die Universalität der Klänge, nicht zuletzt deren naturwissenschaftliches Verständnis, hat die Ordnung der Töne gesprengt und erweitert, hat die Chromatik bis über die Grenzen der Hörbarkeit ihrer Unterschiede hinausgeführt und die Geräusche in den Horizont musikalischer Erfahrung im Sinne einer Permanenz von Jetztzeit hineingezogen.

Deren Punktualität öffnet sich erst in der Ausdehnung eine inneren Erfahrungsraums, dessen konstruktive Entfaltung wiederum in eigenen Zeitformen verläuft.
Ihr Substrat ist die Stille als ein Moment zeitlicher Indifferenz im Übergang zum Bewusstsein des Klangs und seiner Resonanzen.

Das Ereignis des Klangs ist immer auf die Stille als den Grenzverlauf seiner Zeit bezogen und durch sie wird die Wahrnehmung selbst zum Ereignis.

Der Perspektivwechsel im Verhältnis von Ereignis und Wahrnehmung kommt als Differenz zur Erfahrung, mit der gearbeitet werden kann. Sie ist ebenso für den Produzenten wie für den Rezipienten ein Medium der Verortung von Welt, indem sie auf etwas gerichtet wird, wofür die Selbstwahrnehmung ein Echo in ihren psychophysischen und mentalen Dispositionen erzeugt. Durch die Erfahrung des Verhältnisses von Klang und Stille gelingt die Verortung der eigenen Existenz in den Brüchen der Zeitordnungen, die alle Künste im Verhältnis zueinander wie zu der ihnen jeweils vorgegeben Realität organisieren.

Berlin · 3. Juli 2008